lebendige Gedanken

Letzthin machte ich mir Gedanken über die Bezeichnung «Konfession». Christ, Jude, Muslimin, katholisch, reformiert, christkatholisch, Buddhist, Hindu… es gäbe noch viele weitere Bezeichnungen.

Der Mensch möchte dazugehören, ein Teil von etwas sein. Ein Fundament der Ethik, des Lebens, des Glaubens, der Wertvorstellung, der Überzeugung lernen und in sich tragen. Ich glaube, wir alle brauchen dies für ein gelingendes Leben. Denn wenn nicht aus der Tiefe und dem Heiligen heraus Lebensinhalte gefunden werden, besteht die Gefahr, dass man ausschliesslich aus weltlichen und menschlichen Haltungen heraus lebt und so immer mehr geistig verkümmert. Wenn ich es genauer betrachte, wird mir bewusst, wie etliche Glaubensrichtungen verweltlicht geworden sind, weil die Struktur und das Gesetz überhandgenommen haben und das Heilige und Unaussprechliche in ihnen kaum mehr Raum und Gewicht bekommen. Einzelne Menschen sind mir auf dem Lebensweg begegnet, die aus dem Heiligen heraus versuchen, ihren Lebensweg zu finden in und für die Welt. Sie tragen in sich, was sie selber nicht sein können und schenken uns etwas, das nicht von dieser Welt ist. In jeder Konfession sind diese Menschen wahrzunehmen und schenken der Welt kostbares Gut, das nicht von dieser Welt ist, doch immer wieder von neuem in ihr aufleben möchte.

Aufgewachsen in einer christlichen Familie, hineingetaucht in das Geheimnis des katholischen Glaubens, suche ich nach neuen, tieferen Begriffen, die stimmiger und weniger exklusiv sind für das gemeinsame Unterwegssein. Dabei kommt mir der Gedanken «gottesfürchtig». Ja, das möchte ich für immer sein. Oder vielleicht «Gotteskind» - für immer und ewig zu Ihm gehörend. «Immanuel» - Gott ist mit uns. Was kann es Schöneres geben als dies? Nicht ein Auflösen der religiösen Vielfalt, sondern das Zusammenführen des uns geschenkten gemeinsamen Geheimnisses über den Tod hinweg. Nicht ein Wissender zu sein – sondern ein glaubender Mensch, der eingeladen ist, dem Heiligen zu begegnen.

Immer wieder wird mir das «Du» in Gesprächen angeboten, welches ich gerne annehme und als Teil der Beziehung leben möchte. Doch warum tue ich mich so schwer, dieses dann in den Alltag zu integrieren? Oft gehe ich unbewusst ins «Sie» hinüber oder verwende beide Formen, weil eine gewisse Unsicherheit in mir mitschwingt.

Heute, nach einem Whatsapp diesbezüglich, ist mir folgender Gedanke gekommen: Ich tue mich so schwer mit dem «Du», weil es mir im Alltag so oberflächlich und oft so platt entgegenkommt. Hinter dem Wort «Du» liegt für mich jedoch eine tiefe, persönliche und interessierte Beziehung am Gegenüber. Dies bringt mich dazu, ganz vorsichtig mit solchen Begriffen umzugehen. Vielleicht ist auch eine gewisse Unsicherheit meinerseits vorhanden. In allem enthalten ist die grosse Not, dass man sich zwar mit dem Vornamen und per «Du» anspricht, doch eigentlich nicht wirklich in Kontakt tritt miteinander. Es findet keine wirkliche Begegnung statt, das Gegenüber ist Objekt der eigenen Interessen, und ein Teilen des Lebens kommt überhaupt nicht in Frage. Ich hadere mit einem einfachen Wort und nehme zugleich etwas wahr in der Welt, mit dem ich noch nicht umgehen kann. Tief in mir begegne ich lieber niemandem als vielen nur oberflächlich. Ich sehne mich nach wirklichen Begegnungen, die dem Leben dienen.

Ein Wort begleitet mich in den letzten Tagen immer wieder: «Selbstwertgefühl». Eigentlich ist das ganze Leben davon abhängig und steht im Zusammenhang mit dem persönlichen Weg, den Talenten, den Mitmenschen und der Umgebung. Von einem guten, freien und gesunden Selbstwertgefühl könnte Leben fliessen, welches den persönlichen und den mitmenschlichen Weg respektieren, unterstützen und integrieren würde. Ja, der Friede, das Zusammenleben, der Erfolg, die Entwicklung, die Sorgfalt und Verantwortung – alles hängt von diesem einen Wort ab - «Selbstwertgefühl». Nehmen wir es mit in den Alltag, und achten wir darauf, wie unser Selbstwertgefühl sich anfühlt und wir mit dem Selbstwertgefühl des Gegenübers umgehen. Unterstützen oder aber verkleinern wir es im Zusammenleben? Vielleicht nicht umsonst ist in der Bibel vom «Kinde Gottes» die Rede, weil uns von Gott her das bedingungslose Selbstwertgefühl geschenkt wird. Wie oft jedoch verweigern wir es einander und steht der Mensch somit diesem Grundgedanken Gottes im Weg. Ich wünsche dir ein tiefes, gesundes und freies Selbstwertgefühl, welches dich durch das Leben begleitet und trägt, dich mutig und lustvoll macht, dich vorantreibt, um sich ganz hinzugeben.

Sorgen und Ängsten sind weit verbreitete Begriffe, die unseren Alltag oft bestimmen und beeinflussen. Wir machen uns Sorgen um die Zukunft, eine Reise, die Kinder, das Leben - haben Angst vor dem Alter, der Unruhe, der Krankheit und so vielem mehr. Bestimmt finden wir uns alle darin immer mal wieder, und wir haben oft auch Grund dazu. Sorgen und Ängste - zwei Haltungen, die im tieferen Sinne dem Lebensfluss mehr im Weg stehen, als dass sie ihm dienen. Ja, sie behindern das Leben unserer Mitmenschen wie auch unser eigenes oft zusätzlich. Seien wir uns deshalb bewusst, wie schwer wir es einander oft machen. Eigentlich wollen wir helfen, doch stattdessen leben wir nicht im Vertrauen zu unseren Mitmenschen und dem Leben, sondern in ständiger Angst und Sorge. Machen wir uns doch lieber auf, und suchen wir nach anderen Möglichkeiten, einander lebensspende Kraft zu schenken. Sagen wir zueinander: «Ich gehe mit dir mit, ich vertraue deinem Leben, ich bin verbunden, ich lasse dich los, ich segne dich, ich zeige Mitgefühl und Liebe, halte aus und leide mit.»

365 Mal steht in der Bibel: «Fürchte dich nicht!» Für jeden Tag im Jahr einmal ist dieser Zuspruch an uns gerichtet, egal, was das Leben uns und unseren Mitmenschen schenken möchte.

Am Meeresstrand spazierend, kam ich mit einer achtundfünfzigjährigen Frau zum Thema «Älter werden» ins Gespräch. Wir fragten uns, warum unsere Gesellschaft so fixiert darauf ist, wie es im Alter vor sich gehen sollte: Pensioniertsein, Freizeit, Sinnsuche, Loslassen der Arbeit, AHV, Altersvorsorge, gesund alt werden… Vorgegebene Strukturen leiten die Menschen oft in eine enge und noch nie dagewesen Zeitfreiheit, und dies in einem solch starken Mass, dass es meiner Meinung nach den Menschen nicht gut tut. Das Schlimmste dabei ist, dass die älter werdenden Menschen immer weniger «nützlich» sind und sie das Gefühl haben, eine Belastung für die Welt zu sein. In diesem Bewusstsein verlieren wir ein wertvolles Geschenk: die Weisheit. Wo sind sie, die weisen Menschen, die uns Wichtiges und Sinnvolles mitgeben können auf unseren Lebensweg? Vielleicht ist die Weisheit vor lauter Strukturen verloren gegangen. Wer kann uns noch all die Geschichten, Erzählungen, Erfahrungen, ja Weisheiten des Lebens weitergeben, welche so notwendig wären, um dem Leben und den Mitmenschen Würde und Achtung zu schenken?

Selbständig, auch finanziell, soll der Mensch durch unsere ohne Zweifel wichtigen Vorsorgeeinrichtungen und vielfältige soziale Hilfe im Alter sein. Jedoch scheint mir, zwischenmenschliches Leben zähle im Alter oft wenig. Vielleicht sollten wir uns vermehrt darum bemühen, füreinander wirklich da zu sein. In Freiheit und Liebe, nicht im Zwang oder besserwisserisch. Sondern in tiefer Verbundenheit, loslassend, mitfühlend und in Liebe dürfen wir das Leben in Gemeinsamkeit leben, sei es im Alter oder bereits vorher. Das Leben ist unsere Berufung – göttliches Leben. Lassen wir uns deshalb nie «pensionieren» im grösseren Kontext, damit das Leben Sinn macht, für alle.

Der Mensch in seinem Dasein braucht und sehnt sich nach Liebe und Angenommensein. Er sehnt sich nach Bestätigung seines Seins, seines Lebens, seiner Persönlichkeit. Alles, was er tut, unternimmt und erarbeitet, zielt letztlich auf dies hin. Bekommt er es oder bekommt er es nicht? Und woher? Kann er sich dies selber geben oder nicht? Bedient er sich in der Welt oder verkümmert er?

Aus den Augen so vieler Menschen, die nichts mehr hatten und die leer waren wie zum Beispiel Alkoholsüchtige, Drogenabhängige oder am Sterbebett Unzähliger kam mir, als sie zu reden begannen über Gott, aus der Tiefe ihrer Seele eines entgegen: Gott ist es, der jedem von ihnen diese bedingungs- und selbstlose Liebe schenkt. Ihre Augen leuchteten. In ihrer menschlichen und weltlichen Verzweiflung drang eine göttliche Stimme in ihnen hoch, die von diesem Geheimnis zu erzählen begann. Von einem Geheimnis, welches nicht von dieser Welt stammt, doch sich in dieser Welt offenbaren möchte.

Wir Menschen, geliebt von Gott, schaffen es nicht, diese Liebe einander anzuvertrauen. Das Erahnen der Liebe Gottes, die jeden Menschen umgibt, lädt mich ein, darüber nachzudenken und immer wieder einzutauchen in dieses Vermächtnis. Zu sehr sind wir mit uns beschäftig. Wir versuchen, das Leben durch Wissen, Meinen und Klären unter Kontrolle zu bringen. Wir urteilen, verurteilen, bestimmen über Menschen und das Leben, ohne dass wir wirklich zu leben versuchen. Angst und Verletzungen – ja, unsere Menschlichkeit verhindern diesen Fluss der Liebe. Alleine können wir dies weder verstehen noch lösen. Denken wir darüber nach und sehnen wir uns danach, damit wir mit Hilfe Gottes diese Liebe, seine Liebe hinaustragen können. Es ist eine Liebe, die weder Beherrschen noch Kontrollieren möchte. Es ist eine Liebe, die keine Macht ausübt. Eine, Liebe die sich ehrlich, wahrhaftig und ganz hingibt für das Leben. Für ein Leben zwischen Himmel und Erde.

Für meinen persönlichen Weg sind mir einige Dinge ganz wichtig geworden: Ich brauche die tägliche Stille, Meditation und Gebet. Ebenfalls ist das Lesen in der Heiligen Schrift ein wichtiger Bestandteil, um noch mehr und immer wieder neu über Gott und die Welt nachzudenken und mich inspirieren zu lassen. Hinzu kommt das Lesen von guten, lebensnahen und weiterbringenden Büchern. Ebenfalls treffe ich mich gerne mit Menschen, die mich im Leben weiterbringen. Tiefe Gespräche, Erfahrungen und kreative Lebensmuster helfen mir, über mein eigenes Leben nachzudenken.

Was gibt Ihrem Leben Sinn und Gleichgewicht? Eines möchte ich stets: im Prozess bleiben, damit ich in die Tiefe des Lebens vorstossen kann. Dies ist für mich das eigentliche Ziel: Lebensprozesse zu gehen, zu teilen und zu verinnerlichen, um Menschwerdung erfahren zu dürfen.

weitere Blogs

 

Wöchentlich erscheint ein neuer Text. Die bisherigen dürfen Sie gerne hier lesen. Mögen sie Leben schenken!